Erziehungskompetenz stärken – Balanceakt Pubertät

Wenn Kinder in die Pubertät kommen, herrscht in vielen Familien der Ausnahmezustand.

Es trifft Kinder wie Eltern

Die Pubertät trifft die Eltern ebenso wie die Kinder unvorbereitet und bringt für Jugendliche und Eltern zwangsläufig tiefgreifende Verunsicherungen, emotionsgeladene Konflikte und komplexe Veränderungen mit sich. Kein Wunder also, wenn sich Eltern fragen, wie sie der manchmal als Horrorszenarium zu beschreibenden Situation begegnen sollen, insbesondere auch vor dem Hintergrund steigender Gewaltbereitschaft an Schulen, Medieneinflüsse, Jugendarbeitslosigkeit, Anstieg der Kriminalitätsraten im Jugendalter, zunehmender Konsum von illegalen aber auch legalen Drogen, wie Zigaretten und Alkohol. Kommen Kinder in die Pubertät, beginnt für die Eltern ein Veränderungsprozess, der eine große Anpassungsleistung erfordert, viele Energien bindet und die Eltern in ihrer Erziehungskompetenz, in ihrer Identität und Partnerschaft neu fordert. Mit den Erfahrungen, die Eltern mit Jugendlichen machen (müssen), betreten sie ähnlich wie beim Start in die Elternschaft Neuland. Ähnlich wie in der ersten Familienphase bestimmen viele Unsicherheiten und Ängste das Denken und Handeln der Eltern. Die gesellschaftlichen Erwartungshaltungen und der eigene Anspruch, alles richtig machen zu wollen, verstärken den Belastungsdruck, unter dem die Eltern stehen. Für Kinder und für Eltern ist die Pubertät ein wichtiger Entwicklungsprozess, in dem für beide Seiten ein hohes Entfaltungspotenzial steckt. Eine Familienphase, in der sie aber auch die Bestärkung darin brauchen, Krisen als Chance wahrzunehmen, den Wandel zuzulassen, die Beziehungsebenen und Rollen neu zu gestalten: die Beziehungsebene der Eltern zu den erwachsenen Kindern, der Jugendlichen zu den Eltern, der Eltern in ihrer Partnerschaft zueinander. Pubertät impliziert daher nicht nur massive Entwicklungsaufgaben für die Kinder, sondern stellt auch Anforderungen an die Eltern, sich mit eigenen Zielen, Motivationen, Werten etc. auseinander zu setzen, aber auch die Paarbeziehung neu zu gestalten.

Eltern sind oft allein gelassen

Heranwachsende brauchen ihre Eltern in der Pubertät genauso notwendig wie vorher, allerdings in einer anderen Art und Weise. Sie brauchen keine »Watteeltern « oder »Kumpeleltern«, die gute Freunde statt verlässliche Eltern sind. Pubertierende brauchen Erwachsene als Gegenüber, an denen sie sich reiben können, die sich auf sie einlassen und ihre Grenzen respektieren. Sie brauchen Eltern, die ihnen Halt und Wertorientierung geben. Während Eltern in der ersten Familienphase ein gut ausgebautes Unterstützungssystem und in der Regel ein reichhaltiges Familienbildungsangebot vorfinden und durch die Begleitung ihrer Kinder zu gemeinsamen Aktivitäten oder Betreuungseinrichtungen meist ein intensives Kontakt- und Austauschnetz zu anderen Eltern und sozialen Einrichtungen besteht, verändert sich diese Form der Unterstützung schlagartig, wenn die Kinder älter werden und in die Pubertät kommen. Die bisher gewonnene Sicherheit, mit den Problemen nicht allein dazustehen, geht verloren, denn Eltern von Jugendlichen scheuen meist den Erfahrungsaustausch mit anderen wieder aufzunehmen, teils, weil sie es wegen der Kinder nicht möchten, teils, weil sie auftauchende Probleme als individuelles Versagen werten, sich öfters schuldig fühlen und das Vertrauen in ihre Erziehungskompetenz erschüttert ist. Diese Not der Eltern wird von ihrem Umfeld oftmals unterschätzt.

Eltern brauchen in dieser Zeit ansprechende Angebote – auch besonders von konfessionellen Trägern –, durch die sie wieder Mut finden können, sich mit anderen Eltern austauschen, wo sie ihre Unsicherheiten in Erziehungsfragen ansprechen, ihr Denken und Handeln reflektieren und Bestärkung in ihrer Erziehungskompetenz erleben, letztlich auch Freiräume, in denen sie die meist verengte Sicht auf viele Lebensbereiche aufbrechen und die Gesamtheit der enormen Entwicklungsleistungen, die Pubertierende erbringen, positiv wertschätzen.

Das Zentrum Familie in Frankfurt a.M.

Katholische Familienbildungsstätten als Kompetenzzentren in Erziehungs- und Familienfragen kommt hierbei eine wichtige Schlüsselrolle zu, nicht nur bei der Entwicklung spezifischer Eltern-Bildungsangebote, sondern auch bei der Verortung solcher Angebote in Kindertageseinrichtungen, Schulen, Kirchengemeinden, Jugendclubs und anderen Institutionen. Vor diesem Hintergrund entwickelte die Familienbildungsstätte »Zentrum Familie« in Frankfurt vor acht Jahren einen spezifischen Schwerpunkt im Themenfeld Pubertät. Seminare, Gesprächskreise und Veranstaltungen zu speziellen Fragestellungen gehören zum abrufbaren Familienbildungsserviceangebot. Diese Serviceangebote können durch den eigens eingerichteten Fachservice »Familie« in Anspruch genommen werden. Sie werden insbesondere von Schulen und Familienkreisen in Kirchengemeinden rege genutzt.

Neben dem Erfahrungsaustausch und der Reflektion des eigenen Erziehungsverhaltens werden folgende Themenbereiche intensiver betrachtet:

• Fachliche Hintergründe und neuere Forschungsergebnisse zu der Entwicklungsphase

• Grenzen setzen

• Vertrauen/ Misstrauen

• Beziehungsebenen und Rollenveränderungen

• Peergroup – Freundeskreis der Jugendlichen

• Nähe und Distanz

• Schule

• Eltern als gemeinsame Erzieher ihrer Kinder

• eigene Belastbarkeit

• Konsumhaltung

• Probierverhalten – Drogenkonsum

• Umgang mit Medien – Medien als Miterzieher

• Loslassen der Kinder

• Rückblick auf die eigene Pubertät.

Die Erfahrungen zeigen, dass Eltern die Informationen, den Erfahrungsaustausch und die Entwicklung von Lösungsansätzen bei Alltagsschwierigkeiten als unterstützend und entlastend erleben. Wichtige Kernsätze wie: »Fehler sind erlaubt! Tragen Sie es mit Humor und Gelassenheit! Erinnern Sie sich an die eigene Pubertät und vertrauen Sie in Ihre bisherige Erziehungsleistung!« geben Orientierung und Bestärkung. Im schulischen Kontext ergibt sich zudem ein weiterer Effekt. Eltern erfahren erstmals, dass ihre Erfahrungen wichtig sind und ihre Fragen aufgegriffen werden. Das stärkt die Zusammenarbeit und eröffnet neue Gestaltungsmöglichkeiten. Durch die spezifisch konfessionellen Angebote erfahren Eltern und soziale Institutionen, dass Kirche sich um Familie bemüht, sie in allen Zusammenhängen unterstützt und stärkt und auf diese Weise dazu beiträgt, den Familienalltag zu bereichern und das Leben in Ehe und Familie zufördern.

Barbara Stillger