Die neue Liebe zu Oma und Opa

Großeltern sind auch nicht mehr, was sie mal waren. Ihre Rollen im Familienleben haben sich in jüngster Zeit nachhaltig verändert – zum Positiven.

Die einen bekrittelten sie als viel zu nachsichtig und verwöhnend, die anderen als altmodisch und streng: Es ist kaum mehr als eine Generation her, da galten Großeltern weithin eher als zweifelhafte „Miterzieher“ für ihre Enkel. Wie gründlich sich diese Einschätzung gewandelt hat, zeigen die Daten, die Harald Uhlendorff, Psychotherapeut und Professor am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Potsdam, gesammelt hat (ausführlich mit Literatur- und Quellenangaben nachzulesen auf der Homepage der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen BAGSO, www.bagso.de/fileadmin/Aktuell/ Aktivitaeten/Grosseltern_BAGSO_Prof_Uhlendorff. pdf).

Die wichtigsten Erkenntnisse:

  • Die durchschnittliche gemeinsame Lebenszeit von Großeltern und Enkeln hat sich deutlich verlängert. Vor 1950 waren die Großeltern der meisten Zehnjährigen schon gestorben; zu Anfang der 90er Jahre dagegen erlebten über 80 Prozent der 10- bis 14-Jährigen ihre Großmütter und/oder -väter noch.
  • 80 Prozent der Jugendlichen haben nach eigenen Angaben zumindest gelegentlich Kontakt zu ihren Großeltern. Zwar leben nur wenige Großeltern heute gemeinsam mit ihren Kindern und Enkeln in einem Haushalt. Aber: 80 Prozent der Enkel wohnen im gleichen Ort wie ihre Großeltern oder können sie innerhalb einer Stunde Fahrzeit erreichen. Allerdings führen eine höhere Schulbildung der mittleren Generation und, damit verbunden, attraktive Arbeitsmöglichkeiten in weit entfernten (Groß-)Städten oft zu einer größeren Entfernung zwischen Großeltern und Enkelkindern. Damit steigt die Entfremdungsgefahr; dagegen gehen finanzielle Unterstützungsleistungen der Großeltern und auch die Aussicht auf eine Erbschaft mit intensiveren Kontakten zwischen den Generationen einher.
  • Viele Großeltern engagieren sich bei der Betreuung ihrer Enkel. Fast die Hälfte aller Fünf- und Sechsjährigen werden (neben dem Kindergarten) von ihren Großeltern betreut. Andere Verwandte, Freunde der Eltern oder Tagesmütter spielen bei der Kinderbetreuung im Vergleich zu Großeltern eine nachgeordnete Rolle.
  • Das Engagement von Großmüttern für die Betreuung ihrer Enkel ist unabhängig von ihrer eigenen Erwerbstätigkeit, das heißt: Berufstätige Großmütter betreuen ihre Enkel genauso häufig wie nicht berufstätige. Anscheinend schränken die berufstätigen Großmütter eher andere Aktivitäten ein. Am stärksten engagieren sich dabei die Großmütter mütterlicherseits; das mag daran liegen, dass sich Mütter bei der Suche nach einer vertrauten Betreuung für ihre Kinder zunächst an die Person wenden, die ihnen selbst am nächsten steht.
  • Die Qualität der Beziehung von Großvätern zu ihren jugendlichen Enkeln hängt stark davon ab, wie intensiv sie sich schon in den ersten Jahren um ihre Enkelkinder bemühten. Je früher es ihnen gelingt, eine gute Beziehung aufzubauen, desto wichtiger und bedeutender bleibt sie für die Enkel auch in späteren Jahren.
  • 90 Prozent der Großmütter, so das Ergebnis einer repräsentativen Studie, empfinden Freude und Stolz über ihre Enkel und fühlen sich durch sie bereichert. Die Enkel geben ihnen das Gefühl, jung zu bleiben und gebraucht zu werden. Mehr als 70 Prozent finden das Großmuttersein sogar schöner als das Mutter­sein, vor allem weil sie die Begegnungen mit den Enkeln ohne die elterliche Erziehungsverantwortung genießen können.
  • Eine so große und positiv bewertete Rolle im Leben der Großeltern spielen die Enkelkinder nicht zuletzt, weil sie zu den wenigen „neuen“ und gleichzeitig emotional hoch bedeutsamen Menschen in deren Netzwerk älterer Menschen gehören. Im Übrigen werden die sozialen Netzwerke älterer Menschen im Laufe der Jahre tendenziell kleiner und konzentrieren sich stärker auf die Verwandtschaft, weil immer mehr gleichaltrige Freunde und Bekannte sterben.
  • Konflikte um Erziehungsfragen zwischen Großeltern und Eltern treten nur noch vereinzelt auf. Die allgemeine Erwartung an die Großeltern (die sie auch selbst teilen) geht heute dahin, dass sie sich aus den Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Kindern heraushalten.
  • Auch die Enkel erleben ihre Großeltern überwiegend positiv. 80 bis 90 Prozent beschreiben sie als liebevoll, großzügig und gesellig. Die Enkel wissen zu schätzen, dass die Großeltern verlässlich sind und, wenn nötig, viel Zeit für sie haben.
  • Zu den Haupt-Gesprächsthemen zwischen Jugendlichen und ihren Großeltern gehören die Schule oder soziomoralische Fragen. Themen wie Verliebtheit, intime Beziehungen sowie „Geheimnisse“ wie Rauchen, Alkoholkonsum oder Stehlen werden dagegen von beiden Seiten klar gemieden; darüber reden Jugendliche vermutlich lieber mit gleichaltrigen Freunden. Die guten Beziehungen zwischen Großeltern und Enkeln setzen offensichtlich den Respekt vor diesen „Intimitätsschranken“ voraus.
  • Trennungen oder Scheidungen bei der mittleren Generation stellen die Familien vor aufreibende Aufgaben. Manchmal bleiben Großeltern, wenn die Mütter und Väter durch den Trennungsprozess emotional überbelastet sind, wichtige Ansprechpartner für ihre Enkel und bieten ihnen so Stabilität und sichere Bindung. Allerdings kann eine Trennung der Eltern die Großeltern-Enkel-Beziehung auch ernsthaft gefährden. So berichten Großeltern väterlicherseits oft von einem schwindenden Kontakt zu ihren Enkeln, wenn sie bei der Mutter leben. Das gilt vor allem, wenn die Mütter das alleinige Sorgerecht haben. Je jünger die Kinder sind, desto mehr wird ihr Verhältnis zu den Großeltern belastet.
  • Die Situation für die Großeltern ändert sich noch einmal, wenn die getrennten Eltern neue Partnerschaften eingehen. Die Integration der neuen Partner samt Stiefgroßeltern in das Familiensystem geht oft zu Lasten der „weggeschiedenen“ Großeltern. (Andererseits bleiben die Bindungen zwischen Stiefgroßeltern und Enkeln oft weniger intensiv, weil ihnen die wichtigen prägenden Erfahrungen in der frühen Kindheit fehlen.) Deren Kampf um das Recht, den Kontakt zu den Enkeln zu halten, wird inzwischen auch auf politischer Ebene ausgetragen (von der „Großelterninitiative“, www.grosseltern-initiative.de).
  • Auch in der wissenschaftlichen Diskussion wird Großelternschaft heute als vorteilhaft beurteilt – sowohl für die Enkel wie auch für die Großeltern: Die Kinder stehen vor der Aufgabe, vertrauensvolle Beziehungen zu zentralen Bezugspersonen zu entwickeln und anschließend die außerfamiliale Welt selbstbewusst zu erobern. Viele Großeltern unterstützen ihre Enkel im Vor- und Grundschulalter bei der Lösung dieser Entwicklungsaufgabe. Sie bringen dafür die besten Voraussetzungen mit: Sie sind mit den Kindern eng vertraut, aber eben spürbar anders als die Eltern. Gemeinsame Unternehmungen von Großeltern und Enkeln sind so etwas wie erste Schritte in die Welt jen­seits der Kernfamilie.
  • Die Großeltern stehen vor der Aufgabe, ihr Altern zu akzeptieren und ihre Erfahrungen und Kompetenzen an die jüngere Generation zu vermitteln. Dabei können sie Aktivitäten entfalten, die sie selbst als äußerst sinnvoll erleben; sie gewinnen dabei das Gefühl, „nachhaltig“ zu leben und eine Spur zu hinterlassen, die über den eigenen Tod hinaus Bestand hat.

Zusammengestellt von Conrad M. Siegers