Familie und Smartphone: Passt!

Der Pädagoge Dr. Jürgen Holtkamp über den Einfluss von Online-Medien auf das Familienleben, die Beziehungen von Eltern und Kindern und Zeiten der Medienabstinenz.

Verändern Online-Medien das Zusammenleben von Familien?

Gravierend, weil die Medien nun Teil der Erziehung geworden sind und diese beeinflussen. Und die Eltern können sich dem auch nicht mehr entziehen.

Zum Positiven?

Aus meiner Sicht ja. Ich genieße es, wenn meine Tochter, die ich beim Frühstück nicht gesehen habe, mir per WhatsApp einen „Guten Morgen!“ ins Büro nachschickt oder am Nachmittag anfragt, ob wir nach Feierabend, sie an der Uni, ich im Büro, gemeinsam nach Hause fahren können. Bei der Buchung der Familienferien per Internet können Eltern informierter, gezielter und vermutlich auch preiswerter entscheiden als früher, und die lange Fahrt zum Ferienziel gestaltet sich viel entspannter, wenn Vier- oder Siebenjährige per Tablet sinnvoll beschäftigt sind. Erst recht erweisen sich Online-Medien als Segen für Familien, wenn Eltern und Kinder räumlich weit voneinander getrennt sind, zum Beispiel bei Auslandsaufenthalten.

Man könnte auch unken: Sie sind ein ideales Werkzeug für Helikopter-Eltern. Umso mehr kreisen Eltern und Kinder umeinander, sind nicht gezwungen, Trennungen auszuhalten und auch mal alleine klarzukommen.

Okay, wenn’s Eltern zu viel wird und sie nicht mit jedem Schulhof-Knatsch behelligt werden möchten, dann müssen sie halt Grenzen setzen. Die Kinder tun das schon von sich aus; irgendwann sind sie gar nicht mehr begeistert, wenn ihre Eltern sie bei jedem Schritt verfolgen.

Nutzen ältere Kinder das Smartphone nicht ohnehin bevorzugt für die Kommunikation mit Gleichaltrigen? Mit dem Ergebnis, dass es eher die Orientierung an Freundinnenund Freunden verstärkt?

Ist es nicht normal, dass sich Jugendliche von ihren Eltern „abnabeln“? Als Eltern müssen wir akzeptieren, dass wir ab einem bestimmten Alter der Kinder nicht mehr deren Mittelpunkt sind. Nur so werden die Kinder fit fürs Leben.


Außerdem machen sich viele Eltern Sorgen, ihre Kinder könnten durch Smartphone oder Tablet an Inhalte geraten, die nicht jugendfrei sind, oder unerwünschte Verhaltens- weisen entwickeln, zum Beispiel „computerspielsüchtig“ werden.

Ja, das kommt vor, und zweifellos gibt es viele Kinder und Jugendliche, die vor ihren Computern medial verwahrlosen. Die entscheidende Frage ist immer, in welchem familiären Umfeld die Online-Medien genutzt werden. Tatsächlich sehen sich die allermeisten Eltern durchaus selbst in der Verantwortung, ihren Kindern einen angemessenen Umgang mit den Medien beizubringen, fordern dasselbe allerdings auch von der Schule. Das ist also die Stunde der Medienpädagogik.

… bei der erwachsene „digital immigrants“ es mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, die ihnen als „digital natives“ schnell ein paar Schritte voraus sind. Führt das nicht zwangsläufig zu Konflikten in der Familie?

Ich sehe das nicht so skeptisch. Zum einen wächst jetzt gerade eine Eltern-Generation nach, die selbst schon in der Jugend Erfahrungen mit dem Internet gemacht hat und es ausgiebig nutzt. Ihre Kinder wachsen ganz selbstverständlich mit den neuen Medien auf; schon als Ein-, Anderthalbjährige nehmen sie wahr, wie ihre Eltern Smartphone und Tablet nutzen und bedienen, und begreifen sehr schnell, wie sie damit Bilder, Filme oder Spiele aufrufen können. Klar, dass diese Geräte für die Kinder eine Faszination entfalten, genau wie für frühere Generationen das Telefon oder die Stereoanlage. Dann müssen die Eltern entscheiden, inwieweit sie die Beschäftigung damit fördern oder bremsen.

Ob sie zum Beispiel ihrem Fünfjährigen ein eigenes Smartphone oder Tablet überlassen.

Davon halte ich überhaupt nichts, erst recht wenn sie die Kinder dann auch noch weitgehend alleine damit spielen lassen. Mit Online-Medien können Eltern ihren Nachwuchs genauso überfordern wie mit einem Musikinstrument. Wann der richtige Zeitpunkt dafür ist, lässt sich nur individuell entscheiden, je nach Situation in der Familie und Entwicklungsstand der Kinder. Aber es stimmt schon: Eltern, die selbst damit aufgewachsen sind, müssen vielleicht eher aufpassen, dass sie die Risiken bei der Internet-Nutzung nicht zu sehr auf die leichte Schulter nehmen.

Das heißt: nur unter Aufsicht der Eltern, auch wenn ältere Kinder darüber nicht begeistert sind?

Die Zeit dafür müssen Eltern sich schon nehmen. Grundschulkinder sind nun mal damit überfordert, die Zuverlässigkeit und Seriosität von Internet-Angeboten einzuschätzen; und die älteren wollen zwar nicht, dass wir Erwachsenen ständig danebensitzen, sie brauchen aber schon noch jemand, den sie jederzeit fragen können, der sie in puncto Datensicherheit berät und darauf hinweist, dass sie besser nicht jedes Selfie hochladen. Allerdings glaube ich, dass das in vielen Familien relativ harmonisch funktioniert. Mehr noch als die eigenen Online-Erfahrungen der Eltern trägt dazu meines Erachtens eine andere Entwicklung bei: Schon die Elterngenerationen in den 80er und 90er Jahren folgten einem ganz anderen Familienbild und Erziehungsverständnis als die der 50er oder 60er; sie dachten viel weniger hierarchisch, partnerschaftlicher. Eltern und Kinder sind seitdem emotional viel näher beieinander – Stichwort „Hotel Mama“! Und das entschärft auch die möglichen Konflikte um die digitalen Medien.

… weil Vätern heute kein Zacken mehr aus der Krone fällt, wenn ihre Töchter und Söhne ihnen auf bestimmten Feldern voraus sind?

Das Entscheidende passiert immer auf der Beziehungs- ebene; wenn das gegenseitige Vertrauensverhältnis stimmt, ist ein punktueller Kompetenzvorsprung der Kinder kein Problem mehr. Was gelegentlichen Stress nicht ausschließt; dann passiert’s schon mal, wie ich’s von Freunden erfahren habe, dass der Sohn seine Eltern in die digitale Steinzeit verbannt, indem er kurzerhand sämtliche Passwörter im Familiencomputer ändert.

Hinterher haben’s die Eltern vermutlich mit heimlichem Stolz auf ihren tüchtigen Sohn weitererzählt. Aber dass Online-Medien zu ernsten, nachhaltigen Zerwürfnissen in Familien führen …

Das passiert, aber vermutlich am ehesten unter „prekären“ Bedingungen, wenn die Beziehungen und die Kommunikation zwischen den Eltern und den Kindern auch sonst schon gestört waren. Für alle anderen sind WhatsApp & Co. vor allem ein zusätzlicher Kanal, der ihnen neue Möglichkeiten eröffnet. Die Gespräche am Abendbrottisch und bei anderen Gelegenheiten werden dadurch ja nicht verdrängt.

Sie plädieren aber auch für Zeiten der Medienabstinenz. Es stört Sie also auch, wenn jemand bei einem Gespräch mit einem Auge ständig nach dem Smartphone schielt?

Ich ertappe mich selber manchmal in Gesprächen dabei, mal eben einen Blick aufs Handy zu werfen. Auch hier ist für mich die Situation entscheidend, und wie viele andere auch stört mich das manchmal schon. Das hat ja auch etwas mit Respekt vor meinem Gesprächspartner zu tun. Mit „Medienabstinenz“ meine ich aber vor allem, dass wir Zeiten ohne Medien benötigen. Das kann ein Abend ohne Computer oder Fernsehen sein. Funktionieren wird das aber nur, wenn wir eine gute Alternative haben …

Im Gespräch
Dr. Jürgen Holtkamp, Dipl.-Pädagoge und -Religionspädagoge, leitet die Abteilung Beratung, Erziehung und Familie beim Caritasverband des Bistums Essen. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Töchter.