Die fünf Säulen religiöser Bildung

Erwachsene, die Kinder in ihrem eigenen Suchen und Fragen unterstützen, leisten sehr viel: Mit dieser Haltung helfen sie ihnen bei der Weltentdeckung und fördern ihre religiöse Bildung.

Kinder sind Entdecker

Sie eignen sich nach und nach die Welt mit ihren Gesetzen und Regeln an. Sie lernen, sie zu begreifen und sich in ihr zu bewegen. Mit allem, was sie wahrnehmen, stellen sie Sinnzusammenhänge her und entwickeln eigene Erklärungsmuster weiter. Jede neue Erfahrung wird zu einem Baustein für ihr Weltbild. Dabei fragen sie nach dem Warum, Woher und Wozu und erkunden so die geistige, religiöse Dimension des Lebens: „Mama, woher komme ich?“ „Wo ist der Opa (der kürzlich gestorben ist) jetzt?“ „Warum ist Steffi so schlimm krank?“ „Wer hat die Welt gemacht?“ Und so weiter und so weiter.

Für Eltern, die ihre Kinder auf dem Weg in die Selbstständigkeit begleiten und unterstützen möchten, bedeutet das eine große Erleichterung: Sie müssen ihre Kinder gar nicht „intentional“ erziehen in dem Sinne, wie es Dr. Martin Textor vom Münchener Staatsinstitut für Frühpädagogik beschreibt: dass sie nämlich „absichtlich und direkt, anhand von ,Erziehungszielen‘ oder -leitbildern und mit Hilfe von ,Erziehungsmitteln‘“ die Richtung und das Tempo vorgeben. Vielmehr kommt es darauf an, die Eigenaktivität und die Selbstbildung der Kinder zu fördern. Denn, so Textor: Durch Eigenaktivität und Selbsttätigkeit, aus eigener Motivation heraus, erkunden und erschließen sie ihre Welt, nehmen Kontakt zu anderen Menschen auf und lernen von ihnen – sie bilden sich selbst.“

Konkret heißt das: die Auseinandersetzung der Kinder mit den „großen“ Fragen zu unterstützen, dem Staunen und Fragen Raum zu geben, der Suche nach Antworten. Und: die unterschiedlichen Antworten kennen zu lernen, die sich in den Werten und Orientierungshilfen der Religion(en) und des eigenen Glaubens ausdrücken.

Eine solche religiöse Bildung baut auf fünf Säulen auf:

1. Beziehung „kess“ gestalten

Eine Erziehungshaltung, die Kinder in ihrem Suchen und Fragen bestmöglich unterstützt, beschreibt das Elterntraining „Kess erziehen“.

Das Kürzel Kess meint:

  • K wie kooperativ: gemeinsam das Familienleben angehen und gestalten
  • e wie ermutigend: sich dem Kind zuwenden, seine Selbstständigkeit fördern und ihm zumuten, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen
  • s wie sozial: die Bedürfnisse des Kindes nach Zuwendung und Mitbestimmung erfüllen und darauf achten, dass das Kind seinerseits auch die Bedürfnisse der Eltern respektiert
  • s wie situationsorientiert: flexibel agieren, nicht „nach Lehrbuch“, sondern nach den persönlichen Möglichkeiten und Zielen von Eltern und Kindern.

Diese „kesse“ Erziehungshaltung stärkt einen wertschätzenden, respektvollen und ermutigenden Umgang miteinander. Das Kind erfährt Zuspruch, Anerkennung und liebevolle Zuwendung und kann Grundvertrauen und Selbstbewusstsein entwickeln, da es sich wertvoll und zugehörig fühlen kann. Auf dieser Grundlage kann es sich der Welt offen zuwenden und Vertrauen entwickeln – ein Grundvertrauen, das in eine religiöse Weltsicht eingeht.

2. Struktur vermitteln

Das Kind braucht zunächst den kleinen, familiären, überschaubaren und geschützten Raum, aus dem heraus es sich mit wachsender Sicherheit immer mehr der gesamten Welt zuwenden kann. Regeln, Grenzen, die die Eltern im sozialen Umgang miteinander setzen, geben ihm erste Orientierung. Wenn Eltern dabei seine eigenständige Persönlichkeit respektieren, Hintergründe erläutern und dem Kind die Folgen des eigenen Handelns zumuten, dann erlebt es die Welt als geordnet. Es kann Sinnzusammenhänge erkennen und die Fähigkeit entwickeln, sich weitere Zusammenhänge zu erschließen. Rituale vermitteln ihm dabei Sicherheit und Geborgenheit.

So wird die Welt für das Kind zunehmend verstehbar und es lernt, sich weiter gehend mit der religiösen Frage auseinanderzusetzen – im Rahmen der je eigenen Familienkultur und darüber hinaus.

3. Selbstentdeckendes Lernen unterstützen

Staunen, fragen, die Welt begreifen – dieser Aufgabe widmet sich das Kind von Anfang an mit Hingabe. Eltern unterstützen es dabei, wenn sie Achtsamkeit vor dem Augenblick walten lassen: die Welt selbst mit Kinderaugen neu entdecken, sich Zeit nehmen für Beobachtungen am Wegesrand, in Stadt und Natur, zum gemeinsamen Staunen und zum gezielten Nachforschen. Die kindliche Frage nach dem „Warum“ kann dabei zu (vor)schnellen Antworten verleiten. Stattdessen lohnt es sich oft, die Frage an das Kind zurückzugeben: „Was meinst du denn, weshalb das so ist?“ Damit fordern Eltern das Denken und die Phantasie des Kindes heraus und erhalten oft erstaunlich kreative Antworten.
Sich mit dem Kind auf die fragende Seite zu stellen (sofern es nicht um reine Wissensfragen geht) und Freude am gemeinsamen „philosophieren“ und „theologisieren“ zu entwickeln, kann auch für Eltern manches neu erhellen. Im Idealfall entwickelt sich so ein förderlicher Dialog unter Forschern und Konstrukteuren in Augenhöhe. Durch das Philosophieren mit Kopf, Herz und Hand lernen Kinder, kritisch und kreativ neue Wege zu finden. Alltägliche Erlebnisse, aber auch Geschichten aus Bilderbüchern und anderen Medien können Fragen aufwerfen wie: Was ist Mut? Glück? Freundschaft? Oder: Wo ist der Himmel?
Das gemeinsame Nachdenken und Suchen nach neuen, eigenen Antworten bedeutet nicht, die Sinn und Orientierung gebenden Werte und Normen von Religion und Tradition über Bord zu werfen. Sie werden aber auch nicht einfach „weitergegeben“, sondern in einem nächsten Schritt als Orientierungswissen aktiviert.

4. Handlungsräume öffnen

Selbstständigkeit entwickelt sich über Erfahrungen. Dazu braucht das Kind Spiel- und Erfahrungsräume, in denen es sich darstellen und auch mit anderen gemeinsam erfahren kann. Dabei erlebt es seine Kompetenz und lernt, sich zunehmend gestaltend einzugeben und Verantwortung zu übernehmen. In der Erziehung benötigen Kinder eine entsprechende Begleitung: zunächst durch eine anregende Umgebung, dann durch eine immer stärkere Beteiligung an der Gestaltung des Familienalltags, an familiären Entscheidungsprozessen, schließlich durch ein Loslassen in immer größere Freiräume, verbunden mit wachsender Verantwortung. Leitfragen zum Erziehungsalltag könnten auf diesem Hintergrund lauten: Hat das Kind genügend Freiraum, eigenen Bedürfnissen und Interessen zu folgen? Eindrücke zu verarbeiten über Malen, Basteln, Nachspielen? Kann es zu Erlebtem innere Bezüge herstellen über das Tun und über Stille? (So kann auch das Zulassen von Langeweile Kreatives hervorbringen.) Hat besonders das ältere Kind, der Jugendliche genügend Raum zu eigenverantwortlichem Handeln? Werden sie in der Übernahme von sozialer Verantwortung ausreichend gestützt? Übrigens stellen diese Fragen sich nicht nur Eltern, sondern auch den Mitarbeitern in der Kinder- und Jugendarbeit: Haben die Kinder, die Jugendlichen bei uns, innerkirchlich ausreichend Spiel- und Gestaltungsraum?

Denn: Kinder eigenen sich Umwelten an, wenn sie diese Räume als ihre Räume überformen können. Fertige Räume machen sie indes meist fertig.

5. Spiritualität leben

Spiritualität steht für die Sehnsucht nach einem bewussten und ganzheitlichen Leben. Sie steht für den tiefen Wunsch nach einem Lebenssinn, nach innerer Verbundenheit mit „dem Anderen“, dem „Leben hinter dem Leben“. Spiritualität sucht nach Liebe und Erfüllung.
Eine spirituelle Sicht auf die Dinge veranlasst Menschen, ihre Lebensweise zu hinterfragen. Sie fordert Ganzheitlichkeit und verlangt nach Authentizität. Sie öffnet Menschen für die Erfahrung des Transzendenten und lässt sie nachdenken über die Frage, aus welchem Geist heraus sie leben und ihr Leben gestalten.
Im Umgang mit Kindern meint Spiritualität, die religiöse Frage nicht auszuklammern, sondern bewusst in den Blick zu nehmen und das Leben danach zu gestalten. Es ist die Ermutigung dazu, mit den Kindern gemeinsam das Leben zu deuten und zu feiern, gemeinsam mit ihnen zu staunen, zu fragen, sich dabei von der (christlichen) Tradition anregen zu lassen und einen Ausdruck für die eigenen religiösen Überzeugungen zu finden.

Diese fünf Säulen umreißen den Raum, in dem religiöse Bildung geschieht. Dabei kann der Glaube „nur“ ein Angebot an das Kind sein, die Glaubensvermittlung „nur“ eine Einladung, sich der Perspektive des Glaubens anzuvertrauen. Gelungen ist eine Erziehung dann, wenn Kinder lernen, selber und selbstständig zu fragen und zu denken, wenn sie sich Antworten erarbeiten und ihr Leben daraufhin bewusst gestalten.

Christof Horst

Ein lebensnaher Erziehungskurs für Eltern:

Kess-erziehen: Staunen. Fragen. Gott entdecken.

ermutigt Eltern, religiöse Themen aufzugreifen und sich mit den Kindern auf die Suche nach Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu machen.

Der Kurs umfasst fünf Einheiten:

  • Die Beziehung mit dem Kind »Kess« gestalten –
    Das positive Lebensgefühl stärken.
  • Sich mit dem Kind auf die fragende Seite stellen –
    Selbstentdeckendes Lernen stützen.
  • Mit dem Kind reden über Gott und die Welt –
    Kindliche Gottesbilder achten.
  • Der Spiritualität Raum geben –
    Sich von Gott anrühren lassen.
  • Das Leben gemeinsam leben, deuten und feiern –
    Sich von christlichen Traditionen anregen lassen.

Der Kurs richtet sich an Eltern von Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter. Er knüpft an den Erfahrungen und Stärken der Teilnehmenden an. Er unterstützt Eltern in einer ganzheitlichen Erziehung, indem auch die religiöse Dimension des Lebens mit in den Blick genommen wird. Zu jeder Einheit gehören Informationen über die Entwicklung und die spirituellen Bedürfnisse von Kindern, Übungen und konkrete Anregungen für die Praxis zu Hause.

Informationen über Kursangebote erfahren sie unter:

www.kess-erziehen.de